Meine Ponystute Stjarna wird regelmäßig im Kinderreitunterricht eingesetzt. Häufig kommen Kinder zu mir, die bereits Unterricht in herkömmlichen Reitställen hatten. Dort haben die kleinen Reiter leider dann schon oft gelernt, dass man ein Pferd durch Ziehen am inneren Zügel lenkt und stark mit den kleinen Reiterschenkeln klopfen muss, damit das Schulpferd überhaupt vorwärts geht. Was der kleine Reiter so gelernt hat macht der erwachsene Reiter dann weiter. Man sieht nichts von einem atmendem Schenkel, sondern schraubzwingendenartige Reiterbeine die das Pferd mit Dauerdruck durch die Halle ackern. Die Kinder sind auf Stjarna dann in der Regel ganz erstaunt, dass das Pony auf minimalen Schenkelimpuls, denn ein Drücken wäre schon zu viel, prompt reagiert. Kommt doch mal aus Versehen ein ordentlich trommelnder Kinderschenkel zum Einsatz zuckt das Pony erschrocken zusammen, schlägt mit dem Schweif und/oder mit dem Kopf. Kinder nehmen diese Signale des fein ausgebildeten Pferdes sofort zur Kenntnis, denn sie möchten dem heißgeliebten Pferd kein Unrecht tun.

Werden Pferde mit Dauerschenkeldruck und widersprüchlichen Hilfen geritten stumpfen sie selbstverständlich ab und es kommt dann nicht mehr zu solch empörten Reaktionen des vierbeinigen Freundes. Doch auch die abgestumpften, nicht mehr fein am Bein reagierenden Pferde zeigen, dass sie mit dieser unlogischen Hilfengebung nicht glücklich sind. Traurige Augen, verkniffende Nüstern, schlagender Schweif und weitere Zeichen dieser Art zeigen, dass der Partner Pferd gerade nicht glücklich ist in dieser Situation. Wie sollte denn nun die treibende Schenkelhilfe ausgeführt werden?

Eine wichtige Information vorab. Ich treibe das Pferde NICHT, indem ich mit dem Becken schiebe oder beim Leichtraben höher/weiter aufstehe. Mit einem schiebendem, angespannten Gesäßmuskel wird das Vorwärts zerstört. Die Bewegungsenergie der Hinterhand muss immer durch den Reitersitz hindurchfließen. Ist das Gesäß oder auch der Innenbeinmuskel dauerhaft angespannt, mag das Pferd nicht fröhlich vorwärts gehen. Das leider auch immer wieder zu beobachtende viel zu hohe Aufstehen beim Leichtraben bringt das Pferd starkt aus der Balance. Der treibende Impuls nach Vorwärts kommt nur durch einen sekundenschnellen Impuls aus der Wade. Sekundenschnell heißt, dass der Schenkel kurz impulsartig treibt und dann wieder weich fühlend am Pferdebauch liegt. Das gut ausgebildete Pferd reagiert sofort und prompt mit mehr Impuls aus der Hinterhand. Fehlt diese sofortige Reaktion muss das Pferd die Schenkelhilfe nun genau erklärt bekommen. Dies bedeutet, dass bei fehlender Reaktion der Hinterhand die Gerte eine Aufforderung erteilen muss, dass eine Reaktion gewünscht ist. Besonders wichtig ist, dass die Gerte so lange anfragt bis das Pferd reagiert. Hier gibt es je nach Pferdetyp und beim Korrekturpferd je nach Verspannungsgrad des Rückens unterschiedliche Reaktionsgeschwindigkeiten. Das abgestumpfte Pferd wird möglicherweise einige belebende Gertentouchés benötigen bis es reagiert. Bei Reaktion wird die Hilfe sofort ausgesetzt. Das Pferd muss so lange frisch vorwärts gehen bis eine neue Regieanweisung seines Reiters erfolgt. Bei der jungen Remonte und beim Korrekturpferd kann es nun sein, dass dieser Impuls nach Vorwärts nur wenige Meter hält. Sobald das Pferd sich wieder verhält wiederholt der Reiter das oben genannte Prozedere. Kurzer Schenkelimpuls und bei fehlender Reaktion Gertentouché. Wichtig ist, dass der Schenkel beim Einsatz der Gerte auf keinen Fall zusätzlich drückt und treibt. Unser Pferd soll ja lernen, dass der Schenkel nur einmal anfragt und es bitte sofort und fein reagieren soll. Hat unser Schüler richtig reagiert wird das Gertentouché sofort ausgesetzt, der Reiter sitzt absolut passiv, treibt selbstverständlich nicht und lobt überschwänglich mit seiner Stimme. Reiten mit Leichtigkeit und Harmonie ist nur möglich, wenn ich ohne Muskelkraft und Anstrengung reite. Kräftezehrende Ackerei auf dem Pferd haben nichts mit klassischem Reiten zu tun. Pferde sind so feine Wesen. Sie fühlen eine Fliege auf ihrem Fell und reagieren auf feinste Signale. Wie stark müssen sie zuvor abgestumpft worden sein, dass sie ziehende Reiterhände, ackernde Gesäßmuskulatur und quetschende Reiterbeine ertragen?

Klassisch reiten heißt ebenfalls, dass ich immer einen Zug nach vorne in meinem Pferd habe. Damit ist nicht gemeint, das Pferd sinnlos untaktmäßig vorwärts zu hetzen. Der Satz von Gustav Steinbrecht „Reite Dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ wird hier leider besonders häufig misverstanden. Zuviel Vorwärts bringt die Pferde aus der Balance und auf die Schultern. Dies sieht man leider auch viel zu häufig. Mit Vorwärts ist gemeint, dass ich in allen Lektionen eine sprudelnde Gehbereitschaft erhalte. Schwungloses Dahergelatsche hat nichts Gymnastizierung zu tun und ist für Pferde denen der Vorwärtsdrang fehlt besonders gefährlich. Sobald mein Pferd sich verhält und ich die Energie nicht mehr jederzeit taktsauber nach vorne sprudeln lassen kann, läuft etwas schief in der Ausbildung. Die oben beschriebene Schulung der Schenkelhilfen und das Vorwärts stehen daher in einem direkten Zusammenhang.

 

Andrea Lipp, März 2015