In der klassischen Reiterei werden Seitengänge im langsamen, versammelten Schritt geritten. Im Unterricht war eine Kundin verwirrt, da sie ihre Stute zwar sehr langsam in den Seitengängen geritten hat, aber nun das Feedback bekam, dass das Pferd so nicht korrekt über den Rücken arbeitet. Der Schritt war schleppend, das Pferd führte die Seitengänge nicht korrekt aus, fiel über die Schulter, war nicht im Takt und ging nicht durch das Genick. Das Pferd ging zwar langsamen Schritt, der Rücken war aber nicht angehoben und die Hinterhand war nicht aktiv. Langsam heißt nicht automatisch versammelt.

Der versammelte Schritt ist ein hervorragendes Mittel zum Lösen und Geraderichten der Pferde, ist aber auch reiterlich eine der größten Herausforderungen. Da der Schritt keine Schwebe- bzw. Sprungphase hat, ist er eine sehr störanfällige Gangart. Der Reiter muss sehr, sehr fein mit seinen Hilfen einwirken, um das Gleichgewicht des Pferdes nicht zu stören, ein gutes Gefühl für den Takt des Pferdes haben und darf keinerlei Verspannungen in seinem Sitz aufweisen. Zu starke Einwirkungen der Hand haben in dieser Gangart eine besonders verheerende Auswirkung auf den Takt. Aus diesem Grund reiten leider viele Reiter gar keine gymnastizierenden Übungen im Schritt. Häufig wird die Zeit im Schritt mit dem Smartphone verbracht oder zusammen mit einem anderen Reiter schwatzend auf dem zweiten Hufschlag. Dies ist recht schade, da diese ersten 10 bis 15 min so schön für lösende Übungen im Schritt verwendet werden können. Der Schritt als gymnastizierendes Element wird in diesen Fällen in der täglichen Arbeit komplett ausgeschlossen. Ich sehe auch häufig im Unterricht, dass die Kunden ihre Wahrnehmug nicht genug auf die Hinterhand und den Rücken des Pferdes senden. Sie reiten langsam, merken aber nicht, dass das Pferd sich verhält und nicht genug vibrierenden Zug nach vorne hat. Dies sind häufige ganz feine Nuancen, die aber bedeuten, dass das Pferd den Rücken hängen lässt und nicht versammelt ist. Zielgenaues Einwirken der treibenden, impulsartigen Schenkelhilfe ist elementar für den versammelten Schritt. Die Herausforderung hierbei ist, das Pferd nicht schlurfen zu lassen denn das hätte mit versammeltem Schritt absolut nichts zu tun. Bei dieser Arbeit wird unser Pferd  in einen vibrierenden, aber lockeren Zustand gebracht. Das Maul muss weich und kauend sein, das Pferd darf sich selbstverständlich nicht auf der Zügelhand abstützen. Genauso wenig darf es sich einrollen. Diese Gefahr besteht sehr, wenn die Kandare zu früh benutzt wird. Ich muss den versammelten Schritt jederzeit wieder in den Mittelschritt entlassen können. Stockt mein Pferd, schlurft nur noch gemütlich daher und ich kann in einer Gangart nicht mehr unterschiedliche Tempi abfragen, habe ich keinerlei korrekte Dressurarbeit geleistet. Hier sind wir wieder bei dem korrekten Vorwärts, welches die Grundlage für den gesunden Pferderücken ist.

Ich möchte diesen Blogartikel mit einem Zitat aus dem Buch „Die 50 häufigsten Irrtümer in der Pferdeausbildung“ ergänzen. Wie oben schon erwähnt gehört zum versammelten Schritt auch der Mittelschritt und auch das korrekte Vorwärts in allen drei Grundgangarten. Wer jahrelang nur im Schritt arbeitet ist reiterlich auf dem Irrweg.

„Es gibt Reitstile und Ausbildungsphilosophien, bei denen Pferde monate- oder gar jahrelang ausschließlich im Schritt in verschiedenen Seitengängen in Aufrichtung geritten werden. (…)Sie trainieren zwar die Koordinationsfähigkeit und die zur Versammlung benötigte Muskulatur in der gelenkschonenden Gangart Schritt, ein Ausdauertraining oder Training der Rumpftragemuskulatur fehlt allerdings oft völlig. Das ist leider auch verschleißend: Oft  neigen diese Pferde zu einem Senkrücken, da der Rumpf zwischen den Schulterblättern einsinkt. (…) Da ihre Schubkraft wenig ausgebildet wird, wird der M. biceps femoris (Hosenmuskulatur) zu stark. Dieser Muskel umfasst das Knie. Ist er verspannt, zieht er es in einen steileren Winkel, was sich in der Folge ungünstig auf den Sprunggelenkswinkel auswirkt. Das Sprunggelenk wird steiler und die Spatgefahr steig. Ein Pferd, das im Schritt alle Seitengänge beherrscht, muss leider noch lange keinen tragfähigen Rücken haben.“

Seien sie mutig und nehmen sie unter Anleitung die Schrittarbeit in Ihr Repertoire auf. Achten sie gut darauf, dass der Schritt nicht matt auf der Vorhand ist, sondern vibrierend, balanciert mit aktiver, ruhiger Hinterhand. Oben genannte Kundin hat im Unterricht ihr Pferd einfach ein wenig mehr zielgenau getrieben, wenn es sich verhalten hat, hatte dadurch sofort wieder einen korrekten Takt und sofort, feine und fließende Seitengänge über den Rücken. Vernachlässigen sie allerdings auch nicht die übrige Arbeit in den drei Grundgangarten.

 

Andrea Lipp, Juli 2015

überarbeitet, Oktober 2019