Immer wieder treffe ich bei Kunden traurigerweise auf nicht passende Sättel. Der Kunde hat in der Regel einen Sattler seines Vertrauens zu Rate gezogen und den Sattel „anpassen“ lassen. In der Realität heißt dies leider immer wieder zu enge/zu weite Kopfeisen, zu langer Sattel, Form des Sattelbaums passt nicht zur Form der Wirbelsäule des Pferdes, Form der Kissen passt nicht zur Rückenlinie, Sitzgröße für den Reiter unpassend, etc.

Leider ist es in diesem Fachgebiet so, dass die Beratung häufig minderwertig ist und ich mich als Kunde eben nicht zu 100% darauf verlassen kann. Es gibt durchaus auch schlechte Beratungen vom Sattlermeister oder auch vom Gutachter für Sattelhandwerk. Mancher Sattler ist ein sehr guter Handwerker, macht hervorragende Füllungen und gute Lederarbeiten, hat jedoch kein Fachwissen im Bereich der Biomechanik. Beim Thema Sattelpassform können wir nicht von unterschiedlichen Meinungen oder Interpretationen sprechen. Die Beurteilung eines passenden Sattels erfolgt anhand von verschiedenen Fakten, die sich nicht in verschiedene Richtungen deuten lassen. Es gibt hier nur die Variante „passt oder passt nicht“. Versuchen Sie sich zu informieren. Auf dem Büchermarkt gibt es zwei wunderbare Bücher, die gut verständlich die wichtigsten Punkte erklären:

„Medizinische Sattellehre: Sattelanpassung nach veterinärmedizinschen, funktionellen sowie biomechanischen Grundsätzen“ (Robert Stodulka, Eberhard Weiß und Eckart Meyners)

„The Silent Killer“ (Jochen Schleese)

Beobachten Sie außerdem konsequent das Verhalten Ihres Pferdes und seine Rittigkeit. Schnappt es nach dem Gurt und legt womöglich sogar die Ohren an wenn Sie sich mit dem Sattel nähern, sollten Sie dies nicht als Zickigkeit abwerten, sondern es als deutliches Warnsignal wahrnehmen. Sind im Bereich der Sattellage bereits Atrophien des langen Rückenmuskels oder des Trapezmuskels zu sehen, ist dies ein schlimmes Zeichen. Die Muskulatur hat so starken Druck bekommen, dass sie sich durch den Sattel zurückgebildet hat. Gelingen bestimmte Lektionen nicht, mag Ihr Pferd gar nicht im Rücken loslassen und schnaubt es womöglich gar nicht mehr ab, kann dies ebenfalls am Sattel liegen. Das Pferd einer Kundin bockte immer leicht im Moment des Angaloppierens. Sie hatte einen nagelneuen Sattel, der leider sowohl im Baum als auch im Bereich der Kissenform komplett unpassend war. Der Sattel wurde durch einen passenden ersetzt und das Bocken verschwand sofort. Wenn Ihr Pferd brav ist und gefahrlos ohne Sattel zu reiten ist, ist dies ebenfalls ein interessanter Test. Läuft Ihr Pferd besser ohne Sattel, haben Sie den Sofortbeweis, dass Sie den Sattel kontrollieren lassen müssen.

Im Unterricht auf den nicht passenden Sattel angesprochen, erfahre ich in der Regel, dass die Kunden sehr dankbar sind für den Hinweis. Leider gibt es auch genervte Reaktionen, weil manch einer schon eine wahre Sattelodyssee hinter sich hat. Ich bin der Meinung, dass der Ausbilder verpflichtet ist, auf Missstände in der Ausrüstung hinzuweisen. Ein drückender Sattel ist vergleichbar mit einem nicht passenden Schuh und bedeutet für das Pferd schwerwiegendes Leid und Schmerzen. Stellen Sie sich vor, dass Sie 5 km joggen müssen und Ihre Schuhe sind zwei Nummern zu klein! Der Sattel ist das Bindeglied für die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Passt er nicht zu 100% perfekt, kann sich niemals Harmonie einstellen.

 

Andrea Lipp, September 2014