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AutorenbildAndrea Lipp

Ausbildungstagebuch No. 5 – Wie lange brauche ich die Longe für das junge Pferd?

Dieses Mal möchte ich Ihnen von Jungpferd Wilma berichten. Wilma ist eine 2014 geborene wunderschöne Haflingerstute. Sie wurde beim Züchter schonend im Gelände angeritten. Als ich sie kennenlernte, ließ sie sich brav satteln und trensen. Im Umgang war sie lieb und freundlich. Im Herbst haben wir entschieden, mit Wilma noch einmal einen Schritt zurückzugehen und vor dem Reiten die Longenarbeit am Kappzaum einzubauen. An der Longe lief Wilma noch mit festgehaltenem Rücken und nach oben herausgehobenem Hals. Die Arbeit auf der gebogenen Linie war deutlich herausfordernder für sie als das Geradeaus im Gelände. So ließen wir den Reiter erstmal weg und ließen Wilma ihre Balance auf der Kreisbahn ohne Reitergewicht finden. Ohne Reiter ist Wilma eher zu eilig unterwegs und mir ging es an der Longe darum, dass sie in allen Gangarten ein Tempo findet, indem sie entspannen kann, sprich zur Losgelassenheit findet. Die ersten Male am Kappzaum hieß das, dass sie lernen musste im Schritt nicht zu zackeln. Sie hatte auch da immer Termine 🙂 und wollte antraben. Wir haben Schritt an der Longe geübt, bis sie brav in einem ruhigen Tempo auf beiden Händen lief und auf das Kommando zum Antraben wartete. Wilma lernte außerdem die ganzen Paraden zum Halt an der Longe kennen und lernte auf der Kreisbahn stehen zu bleiben. Entweder kam das Kommando zum wieder Antreten oder das Kommando, dass sie zum Longenfüher hereinkommen darf. Mir ist es sehr wichtig, dass die Pferde lernen auf feine Signale durchzuparieren und auch lernen Stehen zu bleiben, bis eine neue Regieanweisung kommt.


Bei Wilma war von Anfang an auffällig, dass sie in ihrem feinen und tendenziell hibbeligen Wesen für alles Neue immer etwas länger brauchte. Wenn das Neue dann verstanden war, saß es auch und war für immer abrufbar. Bei Pferden vom Typ wie Wilma muss man immer gut darauf achten, dass sich Losgelassenheit einstellt und sie in einer ruhigen Atmosphäre arbeiten können. Zu Beginn haben wir an der Longe nur im Schritt und Trab gearbeitet. Beim Trab musste man bei Wilma gut darauf achten, dass sie an der Longe nicht über Tempo davonlief und in einem ruhigen aber trotzdem fleißigen Tempo zum Schwingen kam. Wilma ließ immer schön ihren Hals fallen und der Rückenmuskel begann loszulassen. Als dies im Trab abrufbar war, habe ich auch den Galopp mit eingebaut. Pferde wie Wilma mit einer so guten Grundbalance kann man ruhig auch an der Longe galoppieren lassen. Sie wurde nicht eilig im Galopp und konnte auf beiden Händen ein bis zwei Runden die dritte Gangart absolvieren. Zu Beginn müssen Sie selbstverständlich Rücksicht auf die fehlende Kraft des jungen Pferdes nehmen. Bauen Sie erst nur kurze Galoppreprisen ein. Mit zunehmener Kraft und Ausdauer wird auch der Galopp so gearbeitet, dass der Hals lang wird und die Oberlinie entspannt.


Während der Arbeit an der Longe haben wir den Sattel und auch die Trense hinzugenommen. Als wir den Sattel hinzunahmen haben wir ganz bewusste Übungen mit ihr gemacht, wie die Steigbügel mal etwas fallen lassen, an den Steigbügelriemen mal etwas ziehen und auch mal in die Sattelfläche klopfen. Wilma war bei allem zu Beginn unruhig, hat dann aber gelernt bei allem ruhig stehen zu bleiben. Auch die Steigbügel wurden in kürzester Verschnallung (gut aufpassen, dass sie nicht an den Ellenbogen schlagen) heruntergelassen. An dieser Stelle liegt ja der Reiterschenkel und das junge Pferd muss lernen, sich an dieser Stelle berühren zu lassen, ohne hektisch zu werden. Wilma wurde mit den heruntergelassenden Steigbügeln wie gewohnt longiert. Als die Trense hinzukam, gab es einen echten Rückschlag. Wilma wurde getrenst und der Kappzaum wurde darüber verschnallt. Sie schlug extrem mit dem Kopf und wollte nicht den Hals fallen lassen. Eine sofortige Kontrolle der Zähne durch die Tierärztin ergab, dass Wilma Wolfszähne hatte, die entfernt werden mussten. Das Gebiss schlug an diese Wolfszähne. Nachdem diese kleinen Plagegeister entfernt waren, dauerte es einige Longiereinheiten und sie ließ auch mit Trense entspannt den Kopf fallen und trat vertrauensvoll an das Trensengebiss.


Wilma war nun soweit, dass wir einen Reiter aufsteigen lassen wollten. Bisher haben wir sie immer in der Rundhalle longiert und wechselten nun in die Reithalle. Ich rechnete eigentlich fest damit, dass wir nur ein paar Longeneinheiten brauchten, um sie an die neue Örtlichkeit zu gewöhnen und dann der Reiter schnell aufsitzen konnte. Dem war leider nicht so. Wilma brauchte ganze VIER Wochen um brav und genauso schwingend auf dem Zirkel in der Reithalle ihre Runden zu ziehen. Einen Reiter vorher draufzulassen wäre a) fahrlässig und b) auch für die Ausbildung ein Rückschritt gewesen. So lange das junge Pferd nicht entspannt an der Longe läuft, lässt man keinen Reiter aufsteigen. Nun gibt es natürlich auch andere „Ausbildungswege“, wo man sich ganz schnell auf jedes junge Pferd schwingt und es irgendwie ganze Bahn durch die Gegend lenkt. Mit klassischer Ausbildung hat diese Vorgehensweise aber nichts zu tun und um den klassischen Weg geht es ja in diesem Blog. Wichtig ist bei der klassischen Reitausbildung, dass Sie den Pferderücken zum Schwingen bringen. Dies ist das A und O. Wilma zeigte mir als Ausbilderin auf deutliche Weise, dass sie eine Kandidatin ist, die eben in kein Zeitschema passt. Mit vielen Pferden geht es tatsächlich viel schneller, dass man den Reiter mit draufsetzen kann. Bei Wilma war es nicht so. Sie brauchte tatsächlich ganze vier Wochen (drei mal Longe pro Woche) bis sie auch in der Reithalle ohne mit der Wimper zu zucken auf beiden Händen brav im Schritt und Trab zu dirigieren war. Wir nahmen dann die Reiterin als blinde Passagierin mit hinzu und das war wie erwartet unspektakulär. Wenn Sie Pferde so penibel vorbereiten, gibt es keine hysterischen und wilden Szenen mit scheuenden und bockenden jungen Pferden. Einreiten ist dann ganz unspektakulär.


Zu Beginn handelt es sich um ein Longieren mit dem Reiter als Ballast. Der Reiter übernimmt dann immer mehr das Kommando und der Longenführer nimmt sich von seiner Einwirkung zurück. Das heißt der Reiter installiert die Schenkelhilfe. Das junge Pferd weiß ja gar nicht, was die Einwirkung am Gurt zu bedeuten hat. Das Erklären der Schenkelhilfe wird zu Beginn in Kombination mit dem Longenführer vorgenommen. Der Reiter wirkt ein und der Longenführer treibt nach. Eine Reaktion des jungen Pferdes wird deutlich gelobt. Immer mehr übernimmt der Reiter das Kommando. Die Zügel werden nach und nach ebenfalls hinzugenommen. Wilma in ihrer feinen Art mag eigentlich gar keinen Kontakt zur Hand und dies muss der Reiter gut erarbeiten. Er hält zu beiden Zügeln einen weichen Kontakt und reitet das junge Pferd weiter gleichmäßig nach vorne. Die Zügel werden ebenfalls mehr als Einrahmung und Führung für anstehende Richtungswechsel hinzugenommen.


Wenn der Reiter auf dem Zirkel mit der Longe als Sicherung das Pferd so gut wie alleine reitet, Gangarten bestimmt, Paraden reiten kann, dann nehmen Sie die ganze Bahn im Schritt hinzu. Der Longenführer geht nur noch als Sicherung mit. Ich kann Ihnen nur gut raten, dass Sie die Longe solange am Pferd lassen, bis alles wirklich gut und sicher klappt. Ein Hüpfter und Losstürmer, der bei jungen Pferden völlig normal ist, kann vom Longenführer sanft durch ein Einwirken am Kappzaum abgefangen werden. Wird die Longe zu früh entfernt, kann es zu gefährlichen und auch für die Ausbildung des jungen Pferdes unsinnigen Situationen kommen.


Übereilen Sie nichts und halten Sie sich an die klassischen Prinzipien. Das heißt die Longe gehört dazu, das junge Pferd bestimmt den Zeitrahmen und die Longe wird IMMER als Sicherung dazugenommen, wenn es die Situation erfordert.


Herzliche Ausbildungsgrüße

Ihre Andrea Lipp


Foto Copyright Sven Cramer

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