Reiten und Denken
Vor kurzem sprach ich mit einer jungen Reiterin die große Probleme mit ihrem Pferd hatte. Ich empfahl ihr zwei Bücher, welche das biomechanische Wissen und auch die reine Reitlehre betrafen. Die Antwort darauf lautete: „Ich lese nicht so gerne Pferdebücher.“
Das ist schade. Es handelte sich um eine sehr ambitionierte, turnierorientierte Reiterin. Mir kam sofort Alois Podhajsky in den Sinn, der ja in seinem Buch „Die klassische Reitkunst“ immer wieder vom „denkenden Reiter“ spricht. Reiten ist natürlich auch ein Handwerk, welches man erlernen muss. Hierzu gehört der Sitz, die Hilfengebung, die eigene Kondition und Muskeln aufbauen, etc. Wie bei jedem Thema im Leben gehört aber auch die Theorie dazu. Wer ein guter Reiter werden möchte, sollte auch den Willen und Wunsch haben diese Materie zu verstehen. Die Reitlehre ist ein unglaublich komplexes Themenfeld und das Leben ist hoffentlich gerade lang genug, um die Dressur ansatzweise zu verstehen.
Jetzt könnte jemand sagen „Ja, ich bin ja nur Freizeitreiter. Mir reicht E/A-Niveau. Dafür brauche ich die Dressurtheorie nicht.“ oder „Ich bin springorientiert. Dressur und das ganze Theorie-Gedöns betreffen mich nicht.“ Leider falsch. In dem Moment wo sie auf ihr Pferdchen aufsteigen, sind sie verpflichtet sich mit dressurmäßigen Themen zu beschäftigen. Ihr Pferd braucht die Dressur um seinen Job als ihr Reitpferd, egal zu welchem „Lager“ sie gehören, ordentlich auszuführen. In dem Moment, wo sie sich auf den Rücken ihres Pferdes setzen, müssen sie seine Tragkraft schulen. Das heißt dem Pferd einen gewissen Grad an Hankenbeugung vermitteln, damit es sie und sein eigenes Gewicht vermehrt mit den Hinterbeinen trägt und die Wirbelsäule aufwölbt. Dazu gehört auch, dass sie ihren vierbeinigen Freund geraderichten, denn von Natur aus ist ihr Pferd schief. Das ist völlig normal. Es belastet seine vier Beine nicht gleichmäßig. Muss es ja auch in der Natur nicht. Sobald sie sich aber draufsetzen und reiten, wird das ungleichmäßige Benutzen der Pferdebeine kritisch. Ein nicht geradegerichtetes Pferd wird ein Bein mehr verschleißen. Sie sind also auch hier wieder verpflichtet, ihr Pferd so zu gymnastizieren, dass es alle vier Beine gleichmäßig belastet.
Und nun sind wir wieder bei der Theorie. Das Verstehen, welches die hohle und welches die steife Seite ist, gehört zum Reiterleben dazu. Das ist gar nicht so einfach zu Beginn und ich kann mich noch gut erinnern, dass mein Gefühl mich früher oft getrübt hat. Mit welchen Übungen ich die hohle Seite nun gerader und die steife Seite geschmeidiger mache, kann ich nur durchblicken, wenn ich mich mit der Theorie befasse. Daran geht kein Weg vorbei. Es ist ein langer, wundervoller, sehr häufig auch verwirrender und auch durchaus mal frustrierender Weg.
Nun sollte niemand vor lauter Denken und Lesen das Reiten vergessen. Diese Gruppe gibt es ja auch. Sie lesen, theoretisieren, verkopfen und reiten gar nicht mehr. Probieren sie aus: reiten UND lesen sie! Halten sie die Augen offen und versuchen sie ihr Pferd immer geschmeidiger zu machen. Schwer auf der Hand, zäh am Bein, zu hektisch, steif in der Bahn, sind alles Anlässe sich auf den Weg zu machen. Das Dressurpferd wird fröhlicher in der Bahn, das Springpferd kommt geschmeidiger und fehlerfrei durch den Parcours und das Geländepferd lässt sich mit Spaß und feinen Hilfen durch den Wald dirigieren.
Die Dressur und das Denken gehören dazu und es macht unglaublich viel Freude dieses schöne Themenfeld zu verstehen.
Foto Copyright Sven Cramer
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