Bevor ich meine Begeisterung für die klassische Reiterei entdeckte, war ich engagierte Islandpferde-Reiterin. Während meines BWL-Studiums gab ich damals schon recht viel Unterricht und verdiente mir damit als Studentin mein Geld. In dieser Zeit machte ich auch die FN-anerkannte C-Lizenz des Islandpferdeverbandes (IPZV). Für die weitere Gültigkeit der Lizenz fordert die FN, dass ihre Trainer regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen. Für mich sind diese Trainerfortbildungen immer ein Ausflug in meine alte Islandpferdewelt, da ich die Fortbildungen natürlich beim IPZV machen muss.

Letzten Herbst ging es nach Hannover zu Marlise Grimm auf den Basselthof. Das Thema dieser Fortbildung befasste sich mit der Unterrichtserteilung. Während dieser Veranstaltung wurde ein ganz wichtiger Punkt thematisiert, auf den ich im Rahmen dieses Blogartikels näher eingehen möchte. Lehrgangsleiterin Marlise Grimm forderte uns auf, gut bei uns darauf zu achten ehrlich mit dem Schüler umzugehen.

Ehrlich mit dem Schüler umgehen, was heißt das genau? Heißt ehrlicher Umgang dem schlecht einwirkenden Kunden auf dem total steifen Pferd gnadenlos ehrlich alle seine Schwachpunkte in Sitz und Einwirkung aufzuweisen? Nein, das ist mit ehrlichem Umgang ganz sicher nicht gemeint. Natürlich gibt es auch die Reitlehrer, die aufgrund eigener Probleme den Kunden niedermachen. Diese Trainer haben allerdings ihren Beruf verfehlt und sollten nicht mit Menschen arbeiten. Christiane Horstmann hat mal zu mir gesagt, „Wer als Reitlehrer arbeitet darf nicht nur Pferde lieben, er muss auch ein Menschenfreund sein.“ Dieser Satz hat mich sehr beeindruckt und er trifft es auf den Punkt. Egal welche Lehrtätigkeit jemand ausübt, muss er/sie es mögen mit Menschen umzugehen und muss die Weitergabe von Wissen lieben. Dies ist die Grundvoraussetzung für guten Unterricht und für einen Reitlehrer, der seine Tätigkeit lange und gerne ausübt. Trainer, die den Unterricht nur als notwendiges Übel ihres Berufes empfinden, sind zum einen bemitleidenswert und zum anderen sollten sie auch nicht auf die Reiter losgelassen werden.

Doch nun zurück zur Ehrlichkeit. Ja, Sie müssen Ihren Kunden auf seine Schwachstellen hinweisen. Dies muss allerdings fair und abhängig vom Ausbildungsstand des Reiters stattfinden. Und ganz wichtig, vergessen Sie nicht das positive Feedback wenn etwas gut klappt. Das Feedback im Unterricht ist entscheiden für den Lernerfolg. Will jemand wirklich lernen, kann er in der Regel gut mit kritischem Feedback umgehen. Das Lob muss allerdings ebenfalls in ausreichender Form im Unterricht verwendet werden. Jeder kleinste Ansatz beim Umsetzen der Korrekturen muss umgehend mit Feedback bedacht werden. Die Rückmeldung des Lehrers ist für das Bewegungslernen elementar. Ist der Oberkörper des Schülers zu weit vorne und er bekommt die Anweisung, dass er weiter zurück soll, muss sofort das Feedback kommen, wenn er den Oberkörper richtig hält. Genauso muss sofort die Information erfolgen, wenn der Oberkörper wieder auf dem Weg in die falsche Position ist. Nur so und wirklich nur so, kann der Kunde lernen wie sich das neue Bewegungsmuster anfühlt.  Das positive Feedback beflügelt den Reiter und bei diesem Unterrichtsstil kann er auch mit kritischen Korrekturen leben.

Natürlich gibt es die Reiter, die gar nicht korrigiert werden wollen. Wir Reitlehrer leben von unseren Einnahmen durch den Unterricht und sind immer bemüht, die Kunden zufrieden zu stellen. Eine Möglichkeit der Umsatzsicherung wäre dann diese nicht lernen wollenden Kunden, permanent zu loben und sie einfach machen zu lassen. Dies erzeugt zwar einen zufriedenen Kunden und sichert den Umsatz, ist aber ein Beispiel für fehlende Ehrlichkeit. Kundenorientierung ist in diesem Fall, dem Kunden ein klares Bild seiner Fähigkeiten zu vermitteln. Trainer sind in diesen Fällen auch die Anwälte der Pferde. Gravierende Fehler in Sitz und Einwirkung machen dem Partner Pferd das Leben schwer. Es kann seine Arbeit nicht vernünftig ausführen. Hier ist die Ehrlichkeit ein Muss.

Ein weiteres Feld für Ehrlichkeit ist die Ausrüstung. Zum Thema Sattel gibt es einen eigenen Blogartikel auf meiner Website. Passt der Sattel oder andere Ausrüstungsgegenstände nicht, muss das von Trainer thematisiert werden. Den Kunden mit einem drückenden Sattel reiten zu lassen, ist tierschutzrelevant. Ich habe aufgrund dieser Ehrlichkeit zum Thema Sattel schon Kunden verloren. Mit diesem Weggang von Kunden kann ich gut leben. Für die Pferde ist es ein schlimmes Leid, welches durch zwickende Sättel verursacht wird. Stellen Sie sich immer vor, dass Sie mit einem Schuh wandern gehen müssen, der Ihnen zwei Nummern zu klein oder einfach von der Form unangenehm ist.

Der nächste Fall sind die sich selbst überschätzenden Reitkünstler. Die Reiter, die zu Hause schon „Pirouetten“ üben obwohl die Basis beim Pferd nicht stimmt. Bleiben wir beim Beispiel mit der Pirouette. Voraussetzung für alle höheren Lektionen ist immer die solide Basis. Das bedeutet taktklare Gänge mit ordentlicher Anlehnung. Der Galopp ist eine sprunghafte Gangart. Basis für die Pirouette ist ein versammelter, ordentlich gesprungener Galopp. Es bringt hier absolut nichts den Kunden seine Pirouetten üben zu lassen, wenn die Vorarbeit nicht stimmt. Hier ist auch wieder Ehrlichkeit gefragt. Es geht in diesem Fall zwar erstmal einen Schritt zurück an die Basis aber die schöne Pirouette ergibt sich dann von ganz alleine. Zum sich überschätzenden Reitkünstler und der fehlenden Basisarbeit möchte ich noch ein weiteres Beispiel nennen. Es handelt sich um die Seitengänge. Ich treffe immer wieder Reiter deren Pferde im Trab-Seitengang das Vorwärts verlieren. Dies ist ebenfalls ein deutliches Zeichen für die fehlende Basis. Arbeiten Sie bitte in diesen Fällen weiter am reellen Trab ganz „banal“ auf dem Zirkel und ganze Bahn. Sobald das Pferd im Trab ordentlich an die Hand heranschwingt, bekommen Sie Ihre Seitengänge im Trab geschenkt. Ehrlichkeit seitens des Trainers bringt den Kunden in diesen Fällen in seiner Reiterei ein großes Stück weiter und lässt den Reiter strahlend die Reitstunde verlassen. Ein tolles Schulterherein mit einem schön schwingenden nach vorne ziehenden Pferd ist ein wundervolles Gefühl.

Andrea Lipp, Januar 2019