Ich bin wirklich jedes Mal geschockt, wenn ich solche Beurteilungen auf Turnieren als Zuschauer erlebe. Richter haben eine so wichtige Funktion, da sie dem Turnierreiter durch ihre Hinweise im Protokoll wertvolle Anregungen für ihre Arbeit zu Hause mitgeben können. Dazu muss aber oben erwähntes biomechanisches Wissen vorhanden sein. Es ist ein Muss, dass die Elemente der Losgelassenheit und des Schwungs erkannt werden. Ein nicht schwingendes, sich stockend und hölzern bewegendes Pferd, ist niemals korrekt geritten im Sinne der klassischen Dressur. Stockende, hölzerne Bewegungen deuten auf fehlenden Schwung hin. Ein stark auf der Hand liegendes Pferd, mit nicht kauendem Maul und Schlauchgeräuschen ist nicht losgelassen. Kurt Albrecht von Ziegner hat uns Ausbildern mal auf einer Fortbildung gesagt, dass er die Losgelassenheit sogar an den Beginn der Skala der Dressurausbildung setzen würde. Ein physisch und psychisch entspanntes Pferd ist die Basis für eine erfolgreiche Dressurausbildung. Es geht eben nicht um die mechanische Beurteilung der Ausführung von Lektionen. Es geht um die Beurteilung des ganzen Reiter-Pferd-Paares. Gezeigt werden müssen harmonische Bewegungsabläufe in Form von exakt gerittenen Dressurlektionen.
Ich habe oft den Eindruck, dass die Beurteilung der Anlehnung die große Baustelle ist. Da wird ein kurzer, aufgescheckter oder zu tief eingestellter Hals mit stramm anstehendem Zügel als gut angesehen. Dies hat aber ebenso wenig mit korrekter Anlehnung zu tun, wie ein weggeworfener Zügel. Die Anlehung mit einem korrekten Zug nach vorne bei langem Hals und offenem Genick, wird viel zu selten als Muss eingefordert.
Die Beurteilung hat immer entlang der Skala der Dressurausbildung zu erfolgen. Takt, Schwung, Losgelassenheit sind die Basis und dürfen nicht vernachlässigt werden.
Andrea Lipp, März 2019
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