Heute möchte ich Ihnen von Berittpferd Aramis berichten. Aramis ist ein 8 Jahre alter Camargue-Wallach der Anfang Februar zu mir in den Beritt kam. Aramis war lange Deckhengst und ist erst 5-jährig eingeritten worden. Vor 2 Jahren hatte er einen schlimmen Unfall, der schwere Maulverletzungen mit sich brachte. Diese Verletzungen sind alle gut verheilt, er durfte aber seitdem nur gebisslos geritten werden. Als er zu uns kam, war er daher über ein Jahr nur mit Hackamore geritten worden.

An Aramis sofort auffällig war ein extremer Abdruck seines vor noch nicht langer Zeit neu erworbenen Sattels und eine, durch das Hebelgebiss verursachte, stark komprimierte Oberlinie. Aramis lief mit einem sehr verkürzten, absolut aufgerichteten, „pseudo-beigezäumten“ Hals und einem nach unten weggedrückten Rücken. Der alte Sattel war viel zu lang und hatte sich komplett in den langen Rückenmuskel eingearbeitet. Da Aramis seinen Rücken unter diesem Sattel nicht hochbringen konnte, blieb ihm in dieser Situation nichts anderes übrig, als seinen Rücken nach unten wegzudrücken. Die Hinterhand konnte nicht mehr als Motor in das Vorwärts arbeiten und lief regelrecht nach hinten hinaus. Aramis Bewegungablauf war in drei Teile zerfallen. Vorne der nach oben rausgehobene, sehr kurze, rundgemachte Hals, in der Mitte der nach unten weggedrückte Rücken und die Hinterhand abgekoppelt, hinterherschleppend.

Um seinem athrophierten langen Rückenmuskel eine Möglichkeit zur Erholung zu geben, haben wir die ersten Wochen keinen Sattel auf ihn gelegt und ihn konsequent longiert. In den ersten Einheiten habe ich am Kappzaum mit ihm geübt, dass er auf die treibende Hilfe prompt und nach vorne reagiert. Eigentlich ist er ein fleissiges Pferdchen, ist aber durch die oben beschriebene Vorgeschichte zum sich verhaltenden Schenkelgänger geworden. Aramis in das Vorwärts zu bringen war richtig schwierig. Er reagierte zum Teil gar nicht auf die Longierpeitsche und die „Installation“ der sofortigen Reaktion auf die treibende Hilfe war in den ersten Tagen sehr mühsam. Die ganze Oberlinie war ja so verkürzt, dass diese angefragte, prompte Reaktion für ihn auch eine muskuäre Höchstleistung bedeutete. Ein nach vorne zündendes Hinterbein und ein fleißiger Zug nach vorne bringen automatisch die Oberlinie in die Dehnung. Mittlerweile hat der schlaue Kerl alles toll verstanden und reagiert auch sofort auf einen kurzen Zungenschlag als treibende Hilfe. Das „wilde Wedeln“ mit der Longierpeitsche gehört zum Glück der Vergangenheit an. Aramis wurde selbstverständlich nur mit Kappzaum und sonst nichts longiert. Durch seinen mit der Hackamore komprimierten Hals lief er selbst frei am Kappzaum tagelang immer noch festgerastet und hatte keine Idee davon, die Oberlinie lang zu machen und den Hals fallen zu lassen. Er lief zu Beginn Runde um Runde wie festgerastet. Durch das konsequente Arbeiten am zündenden Vorwärts wurde das ganze Pferd von Tag zu Tag im Rücken besser. Man sah regelrecht wie sich die Bewegungsenergie von hinten nach vorne in der ganzen Muskulatur fortsetzte. Erst wurde die Lende locker, dann der Rückenmuskel im Bereich der Sattellage. Zwischenzeitlich fing er dann schon mal an, ungläubig mit seinem Hals zu spielen und kurzzeitig mal den Weg nach unten auszutesten. Diese Ansätze wurden natürlich ausgiebig und sehr freudig gelobt. Das Fallenlassen des Halses ergibt sich ganz automatisch durch die konsequente Arbeit nach vorne. Ich berichte hier von Aramis weil dies ein Korrekturpferd ist, das wirklich lange für die Entspannung seiner Muskeln brauchte. Nach ca. drei Wochen an der Longe hatten wir ihn so weit, dass Schritt und Trab auf beiden Händen mit fallengelassenem Hals in Dehungshaltung möglich waren.

Die Besitzerin berichtete mir, dass Galopp mit Aramis unter dem Sattel nicht möglich war. Da Camargue-Pferde ja eigentlich auch Galopp-Pferdchen sind, hat Aramis auch einen guten Grundgalopp. Er war aber so aus der Balance gebracht worden, dass Galopp für ihn tatsächlich auch selbst an der Longe ein unvorstellbares Projekt war. Nachdem der Schritt und der Trab in Dehungshaltung abrufbar waren, habe ich den Galopp sofort in das Programm eingebaut. Ich ließ ihn auf beiden Händen einspringen, achtete auf einen schönen Aufwärtssprung und parierte ihn dann wieder nach einer halben bis ganzen Runde durch. Hier muss man immer gut seinen Kappzaum-Kandidaten im Blick behalten und gut erkennen wie lange man die jeweilige Gangart abfragen darf. Nach den ersten Galopp-Reprisen war Aramis sofort wieder im alten Bewegungsmuster. Zäh, verhalten, Oberlinie kurz, Hals nach oben raus, Hinterhand nach hinten weg. Er musste dann nach diesen ersten, aufregenden Galopp-Anfragen wieder so lange traben bis er sich wieder entspannte und den Weg in die Tiefe suchte. Sie können neue Bewegungsmuster nur installieren, wenn sie immer wieder mit dem neuen gewünschten Bewegungsmuster abschließen. Nur so versteht Ihr Pferd was Sie von ihm wünschen.

Als nächsten Schritt nahmen wir nun den Sattel hinzu. Nachdem Aramis ja nun lange mit diesem wirklich gar nicht passenden Sattel geritten wurde, war zu erwarten, dass das Longieren mit Sattel auch erstmal ein Rückschritt werden wird. Und so war es auch. Aramis lief mit Sattel am Kappzaum genauso im alten Bewegungsmuster wie ganz am Anfang. Hier konnte man ihm aber von Runde zu Runde zusehen wie er feststelle, dass dieser Sattel nicht zu lang war und er seinen Rücken frei unter ihm bewegen konnte. Relativ zügig traute er sich auch mit Sattel fleißig nach vorne zu traben und dabei den Hals nach vorne unten zu dehnen.

Wegen seiner Maulverletzungen hatte die Klinik erst jetzt das grüne Licht gegeben, dass er wieder mit Gebiss gearbeitet werden darf. Wir haben ihm eine dünne, einfach gebrochene Schenkeltrense verpasst und zur Kappzaum-Arbeit die Zäumung auf Trense hinzugenommen. Hier hatte ich tatsächlich mehr Schwierigkeiten erwartet. Nach solchen Verletzungen im Kopfbereich hätte ich mir gut vorstellen können, dass ein Gebiss im Maul für ihn gruselig ist. Dem war aber nicht so. Hier hat er nur ganz kurz wieder seine falsche, kurze Oberlinie gezeigt und ist dann recht vertrauensvoll auch mit Trense gelaufen. Er entspannte auch schnell den Unterkiefer und kaute entspannt auf dem Trensengebiss. Dieser ganze Prozess hat sechs Wochen Zeit in Anspruch genommen. Die lange Zeit des Longierens hat sich für ihn absolut gelohnt, denn unter dem Sattel haben wir gleich die Früchte geerntet.

Vor einigen Tagen bin ich nun das erste Mal aufgestiegen. Ich hatte auch hier erwartet, dass ich die Schenkelreaktion installieren muss und er sich nach oben raushebt. Aramis hat mich bei der ersten Reiteinheit komplett überrascht. Er war superfein am Bein und lief schönen Schritt. In der Hand hat er sich zu Beginn versucht festzumachen und nach unten zu stoßen. Hier gab es ein kurzes, beidseitiges Arrêt aufwärts mit der Instruktion, dass er seinen Kopf bitte selbst tragen soll und ein Einrollen nach unten nicht erwünscht ist. Auffällig an ihm war, dass er im Schritt eher viel zu eilig und sehr angespannt war. Der Schritt soll natürlich einen Zug nach vorne haben, aber Sie dürfen in keiner Gangart das Gefühl haben, dass Ihr Pferd unter Ihnen davornstürmen möchte. Wenn ich ein Pferd reite, dass deutlich Stress im Schritt hat, reite ich so lange Schritt bis das Pferd im Schritt anfängt sich zu entspannen. Immer wenn Aramis eilig wurde, habe ich ihm über eine Gewichtshilfe gesagt, dass er ruhiger schreiten soll und ihn bei der richtigen Reaktion überschwänglich gelobt. Wenn Sie solche hektischen Pferde arbeiten, müssen Sie gut auf Ihren eigenen Energielevel achten. Körpersprachlich müssen Sie sehr viel Entspannung übertragen und mit dem inneren Bild reiten, dass Sie Entspannung verursachen möchten. Aramis brauchte tatsächlich fast 20 min bis er im Schritt nicht mehr gedanklich auf der Flucht war und nur darauf lauerte wann wir denn antraben. Im Trab ist seine Unbalanciertheit noch viel deutlicher zu spüren. Aramis wurde scheinbar unter dem Sattel eher über Tempo gepuscht und hat dadurch zu viel Last auf den Schultern. Hier habe ich auf beiden Händen über meinen Sitz im Leichtraben einen gleichmäßigen ruhigen Takt erzeugt. Dehnungshaltung unter dem Sattel wäre für ihn noch ein unlösbares Problem. Mit Aramis arbeite ich im Moment daran, dass er in Arbeitshaltung an beide konstant anstehenden Zügel von hinten nach vorne ruhig und gleichmäßig herantrabt, ohne davonzustürmen. Er muss sich auch unter dem Sattel trauen, die Oberlinie lang zu machen. Dies spüren Sie daran, dass Ihr Pferd selbstständig von hinten nach vorne an die angebotenen Zügel herantritt und beginnt zu schwingen. Auf einem schwingenden Pferd haben Sie das Gefühl, dass die Bewegungen locker, weich und fließend sind.

Vom Reitgefühl ist Aramis in der Längsachse komplett steif und unbeweglich. Hier nehmen wir recht bald, wenn der wuselige Schritt verschwunden ist, die Seitengänge im Schritt hinzu. Nur über die oben beschriebene Arbeit an Takt und Schwung und über die Seitengänge im Schritt bekommen wir den kleinen Camargue-Schatz wieder in das Gleichgewicht.

Herzliche Frühlingsgrüße

Andrea Lipp, März 2018