Vor einigen Tagen ritt ich Aramis und kratzte ihm vor Verlassen der Reithalle seine Hufe aus. Er stand ganz brav und gab gelassen jeden seiner Hufe. Aramis ist jetzt ganz genau ein Jahr bei uns und dieses brave, gelassene Stehenbleiben beim Hufeauskratzen ist, wie weitere Dinge im täglichen Umgang mit ihm, ein sensationeller Erfolg.

Aramis war zu Beginn der Berittzeit so misstrauisch, dass alles mit ihm schwierig war. Kam jemand zu ihm in die Box, legte er sofort die Ohren an. Das Aufhalftern und Auftrensen waren ebenfalls problematisch. Er mochte es nicht, wenn er an den Ohren berührt wurde und wollte davonlaufen.  Beim Satteln wollte er gar nicht, dass man sich mit dem Sattel näherte und versuchte sich immer wegzudrehen. Wenn man den Sattel dann auf seinem Rücken platziert hatte, schnappte er nach dem Menschen. Sie erinnern sich eventuell aus einem früheren Ausbildungstagebuch, dass Aramis einen nicht passenden Sattel hatte. Er hatte also ausreichend Gründe diesem Ding auf seinem Rücken mit Misstrauen zu begegnen. Mittlerweile steht er gelassen auf der Stallgasse und lässt sich ruhig die Trense anziehen und das Satteln ist ebenfalls kein Problem mehr.

Ganz besonders schwierig war das Geben der Hufe. Aramis gab seine Hinterhufe nicht. Er trat stattdessen gezielt und mit voller Wucht nach dem Menschen. Wenn Sie ihm dabei ins Gesicht sahen, war da pure Angst zu erkennen. Seiner Besitzerin gab er die Hufe, nur uns fremden Menschen gab er sie nicht, weil er uns noch nicht vertraute. Seine Besitzerin kam dann über Wochen jeden Tag und nur sie kratze ihm die Hufe aus. Nach einigen Wochen durfte auch ich seine Hufe aufnehmen. In dieser Zeit haben wir es konsequent so gemacht, dass nur ich die Hufe gesäubert habe und meine Helferinnen seinen Hufen fern blieben. Wir waren bei diesem Thema immer mit ganz kleinen Schritten zufrieden. Wenn er Tage hatte, an denen er seine problematischen Hinterbeine nur ganz wenig anheben mochte, haben wir ihn an diesem Tag nur für das winzige Anheben ausgiebig gelobt und das Hufeauskratzen dann weniger sorgfältig gemacht. Er wurde für den kleinsten Ansatz von richtigem Verhalten überschwänglich gelobt. Lekcerlis haben wir in dieser Zeit in großen Mengen benötigt. Wir respektierten selbstverständlich auch, dass er Tage hatte, an denen das Hufegeben schwierig war.

Hiermit wären wir bei dem Titel dieses Blogartikels. Dort oben steht „Ihr Pferd hat immer einen Grund, warum es etwas nicht ausführt. Sie haben die Aufgabe diesen zu finden.“ Warum gab Aramis eigentlich seine Hinterbeine so schlecht? Aramis hatte zu Beginn des Beritts eine massive Blockade im Kreuzdarmbeingelenk. Das Anheben der Hufe war ihm schlichtweg ohne Schmerzen nicht möglich. Ist das Kreuzdarmbeingelenk blockiert, haben auch Pferde Schmerzen im Ischiasnerv. Wer das selbst schon einmal hatte, weiß wie schmerzhaft und unangenehm das ist. Bevor Aramis anfing zu treten wird er mit kleineren Signalen gezeigt haben, dass er die Aufgabe des Hufeangebens nicht bewältigen kann. Bis ein Pferd beginnt massiv und gezielt zu treten, muss schon vorher sehr viel an kleinen Signalen übersehen worden sein. Denken Sie daher bitte niemals, dass Ihr Pferd frech ist oder mit Absicht etwas nicht ausführt. Pferde wollen Ihnen immer gefallen und es hat immer einen Grund warum etwas nicht klappt. Haben Sie solch einen schwierigen, misstrauischen Kandidaten wie Aramis, zerlegen Sie bitte alle Aufgaben immer in winzig kleine Teile. Wir haben ihm zum Beispiel zu Anfang nur einmal pro Trag die Hufe ausgekratzt. Das Säubern der Hufe vor Verlassen der Reithalle haben wir wochenlang weggelassen, da wir keinen Rückfall in alte Verhaltensmuster riskieren wollten. Irgendwann klappte dann auch das Auskratzen nach der Reiteinheit. Sie wissen aus vorherigen Blogartikeln, dass Aramis wirklich schlimme Rückenprobleme hatte und extrem verspannt war. Nach manchen Reiteinheiten hatte er dann auch zu späteren Zeitpunkten einfach Pudding in den Hinterbeinen, so dass wahrscheinlich die Kraft zum Anheben der Hinterbeine fehlte. An solchen Tagen flammte manchmal noch eine Spur des alten Ausschlagens auf. Wir haben dann ganz ruhig nur gefordert, dass er die Hinterhufe minimal anhebt ohne zu treten. An diesen Tagen haben wir selbstverständlich nicht die Hufe ausgekratzt und ihn nur ganz stark gelobt für das winzige Anheben ohne Agression. Vermutlich ziepte an solchen Tagen irgendetwas in seiner Hinterhand. Es war wahrscheinlich eine Mischung aus fehlender Kraft und einem Antriggern von alten Ängsten, welches das negative Verhalten kurz wieder aufflammen ließ. Mittlerweile gibt Aramis auch völlig fremden  Menschen ganz brav seine Hufen und ich freue mich sehr darüber, dass sein Vertrauen wieder so zugenommen hat.

Einen Reiter aufsteigen lassen, fand Aramis ebenfalls nicht ganz so bezaubernd. Zu Beginn schnappte er nach mir und hampelte an der Aufstiegshilfe rum. Hier galt es ganz ruhig das Aufsteigen zu üben, bis ich ohne Zappelei in aller Seelenruhe im Sattel Platz nehmen konnte. Selbstverständlich wurde er auch hier immer ausgiebig gelobt. Auch bei diesem Thema gab es in den ersten Monaten immer wieder Mini-Rückschläge. An manchen Tagen wollte er dann wieder nicht, dass ein Reiter auf ihm Platz nimmt. Auch dieses Signal müssen Sie als Reiter wahrnehmen. Aramis hatte an solchen Tagen vom Vortag sehr wahrscheinlich Muskelkater. Mit dem Lesen solcher feiner Signale lesen Sie als Mensch, wie es ihrem Pferd gerade an diesem Tag geht. Für mich hieß das an diesen Tagen im Training selbstverständlich, dass wir nichts Neues machen und das Training dementsprechend weniger anspruchsvoll ausrichten.

Die Arbeit an der Hand war zu Beginn ebenfalls problematisch. Er hatte solche Angst vor der Gerte, dass er nur geschnappt hat. Dieses Pferd war in seinem Misstrauen dem Menschen gegenüber kopfmäßig so blockiert, dass er ganz oft gar nicht ansprechbar war. Die Arbeit an der Hand haben wir tatsächlich mit der Arbeit am Spanischen Schritt begonnen. Aramis hatte sehr blockierte Schultern. Das Erlernen des Spanischen Schritts hat für ihn einen besonders positiven gymnastizierenden Effekt, da wir den Trapezmuskel damit geschmeidiger machen. Als Aramis verstanden hatte, dass die Gerte keine Gefahr für ihn darstellt und er für ein winziges Anheben der Vorderbeine einen Keks bekommt, zeigte sich was für ein schlaues Kerlchen er ist. Angst behindert auch das Lernen und Aramis ist ein ganz schlauer Wallach dem das Mitdenken jetzt richtig Spaß bereitet. Neuen Dingen steht er immer noch mit Skepsis gegenüber aber er wird immer offener.

Ein weiteres Problem war das Herausführen aus der Stallgassse. Wir haben im Bergischen Land selbstverständlich auch ordentliche Steigungen. Wenn man unseren Stall verlässt, geht es auf dem Weg in die Reithalle sofort richtig steil bergan. Wochenlang parkte Aramis am Ende der Stallgasse und wollte nicht weitergehen. Wissen Sie warum er dort parkte wie ein kleiner Maulesel? Das steile Berganklettern war ihm schlichtweg schmerzhaft und unmöglich mit den verspannten Schulterblättern. Das Parken bedeutet lediglich „Kann ich nicht und diese Übung tut mir weh.“ Wir haben ihn über Wochen mit einer Gerte dort hochgeführt. Wenn er parken wollte haben wir freundlich hinten nachgetrieben. Heute ist das Hochklettern gar kein Problem mehr und das Nachtreiben ist längst nicht mehr nötig. Manch einer, der diese Signale nicht richtig liest, würde dieses Pferd als stur bezeichnen. Merken Sie sich bitte, dass Pferde nie stur sind. Es gibt immer einen Grund für das gezeigte Verhalten.

Es freut mich ganz besonders, dass er sich kürzlich beim Ausziehen der Trense nach dem Reiten genüsslich die Ohren kraulen ließ. Sie müssen hierzu wissen, dass seine Ohren eigentlich absolute Tabu-Zone waren. Nach der Reiteinheit genoss er also das Kraulen an den Ohren, bekam auf einmal einen überraschten Gesichtsausdruck, da ihm klar wurde, dass er sich da gerade an den „Tabu-Ohren“ kraulen lässt, legte wieder die Ohren an, wollte weg und blieb dann aber doch um die Zuwendung zu genießen. Mit solchen Pferden wie Aramis zu arbeiten ist eine große Freude für mich. Aramis hatte definitiv früher mit Menschen zu tun, die seine Signale nicht richtig lasen. Bevor ein Pferd beginnt zu schnappen, die Ohren anzulegen und dann auch noch zu treten, wurden zu früheren Zeitpunkten sehr viele feine Signale die ausgesendet wurden, schlichtweg missachtet. Diesem kleinen Kerl wieder Zutrauen zum Menschen zu verschaffen und ihm zu zeigen, dass er vertrauen darf, ist einer der schönsten Bereiche meines Berufes. Aramis lässt sich mittlerweile problemlos auch von völlig fremden Menschen putzen, halftern, die Hufe auszkratzen usw. Er beginnt zu verstehen, dass Menschen auch wohlwollend und pro Pferd sein können. Wenn man jetzt morgens zu ihm kommt, steht dort nicht mehr ein griesgrämiger Kerl, sondern ein fröhliches Pony mit ganz wachen und interessierten Augen.

Ich wünsche Ihnen ganz viel Freude und versuchen Sie immer Ihr Pferd richtig zu lesen.

Herzlichst Ihre Andrea Lipp

Februar 2019