Vor Kurzem bekam ich folgendes Gespräch mit. Zwei Damen standen bei einem Turnier an der Bande und beobachten eine junge Frau, die ihr Pferd vor der Prüfung abritt. Beide Damen waren sich einig, dass dies eine sehr schwache Reiterin ist.

Diese Einschätzung der reiterlichen Fähigkeiten der jungen Frau hat mich regelrecht geschockt. Mir war sie nämlich als absolutes Positivbeispiel auf dem Abreiteplatz aufgefallen da sie sehr fein ritt. Ihre Hilfen waren unsichtbar. Der Schenkel wirkte nur impulsartig und der von ihr gerittene Wallach zog fleißig nach vorne. Ihre Zügelhand war wunderbar ruhig und fein und bot dem Wallach eine konstante, ruhige Verbindung. Sprich, dieses Reiter-Pferd-Paar war ein regelrechter Genuss beim Zusehen und ein Beispiel dafür, wie gutes klassisches Dressurreiten aussehen sollte. Pferd und Reiter bewegten sich freudig miteinander. Die Beiden glichen einem Tanzpaar.

Mich hat diese oben erwähnte Einschätzung sehr nachdenklich gestimmt, zeigt sie doch mal wieder wie oft sich falsche Bilder in den Köpfen der Menschen verankern. Was ist im Sinne der beiden Damen vom Zuschauerrand des Abreiteplatzes ein starker Reiter/eine starke Reiterin? Dies sind aus deren Blickwinkel die Reiter, die das Pferd mit dem Druck ihres pressenden Sitzes (stark dauertreibender Schenkel und fälschlicherweise angespanntes Kreuz) gegen die Hand treiben und das Pferd dadurch zwischen Hand und Bein regelrecht komprimieren. Dies sind die Reiter für die Reiten eine kräftezehrende, schweißtreibende Höchstleistung ist. Klassische Dressur heißt selbstverständlich nicht, dass es niemals für Reiter und Pferd anstrengend wird. Natürlich hat klassische Dressur auch eine sportliche Komponente, bei der kraftausdauernde Muskulatur seitens Pferd und Reiter gefordert und aufgebaut wird. Selbstverständlich wird es da auch mal anstrengend. Klassische Dressur bedeutet aber nicht, dass der Reiter Krafttraining auf dem Pferd betreibt. Dieser Kraftbedarf hat meistens seine Ursache in einem Dauertreiben oder zu starkem Treiben. Dies kommt von einer falsch verstandenen Idee des Vorwärtsreitens. Durch dieses zuviel an Vorwärts wird zu viel Energie in die Reiterhand gepuscht. Diese muss dann vorne am Gebiss mit puren Kraftaufwand gehalten werden.

In der klassischen Dressur bewegt sich Ihr Pferd bewegt auf feinste, impulsartige Signale vorwärts und Ihr Pferd sucht einen weichen Kontakt zu Ihrer Hand. Sie treiben nur dann wenn es etwas zu treiben gibt. Ihre Hilfen müssen unsichtbar werden und Ihnen und Ihrem Pferd muss die Freude am gemeinsamen Tun in das Gesicht geschrieben stehen.

Sie sollten ein feiner Reiter werden, der sein Pferd zum Brillieren bringt. Dann sind Sie ein starker Reiter im klassischen Sinne.

Andrea Lipp, Mai 2018