Vor einiger Zeit habe ich auf meiner letzten Unterrichtsstation des Tages Folgendes erlebt. Eine sehr unsportliche Reiterin hat das Pferd ihrer Kundin „Korrektur geritten“. Das Pferd war extrem widersetzlich, was völlig verständlich war, da die Reiterin einen so schlechten Sitz hatte, dass das Pferd unter dem in den Sattel klappenden Gesäß keine Chance hatte Schwung zu entfalten und den langen Rückenmuskel zu entspannen. Als Reaktion auf die nicht korrekt sitzende Reiterin hob das Pferd sich nach oben raus. Daraufhin wurde es brutal nach unten geriegelt und rückwärts geschickt. Es handelte sich um eine Unterwerfung über die Reiterhand. Die klassischen Prinzipien, dass sich das Fallenlassen des Halses aus einem taktmäßigen Vorwärtsreiten des Pferdes und über eine Entspannung der Oberlinie ergibt, waren dieser Reiterin nicht bekannt. Es wurde mit der Hand rückwärts gearbeitet nach dem Prinzip „Hauptsache der Kopf ist unten, dann geht das Pferd auch über den Rücken“.

Anlehnung ergibt sich über ein freiwilliges Herandehnen des Pferdes an die weich angebotene Zügelhand. Als Reiter sollten wir uns immer fragen, ob die Widersetzlichkeiten nicht auch mit Fehlern unsererseits zusammenhängen. Das bedeutet auch, dass wir permanent an unserem Sitz arbeiten müssen. Dies bleibt eine lebenslange Aufgabe. Sobald ich diese wundervollen Lebewesen als Reitpferd einsetze, bin ich verpflichtet mich körperlich so fit zu halten, dass sich unser Pferd auch geschmeidig mit uns bewegen kann. Reite ich viele Pferde am Tag oder habe evtl. eine berufliche Tätigkeit die mir Rückenbeschwerden verursacht, ist der Besuch bei einem Osteopathen ein Pflichtprogramm, um die Muskulatur locker zu halten und evtl. vorhandene Blockaden zu lösen. Das arme Tier aus oben genanntem Beispiel fing in seiner Verzweiflung irgendwann an mit den Zähnen zu knirschen. Wenn dies passiert ist von Losgelassenheit als oberstem Element der Skala der Dressurausbildung keine Spur. Das Pferd zeigt damit deutlich, dass es extrem gestresst ist. Im Rahmen der Reiteinheit sollten wir dem Pferd zu mehr Wohlbefinden verhelfen. Kann es sich zu Beginn noch nicht versammeln, weil es noch nicht die körperlichen Fähigkeiten hat, müssen wir die Einheit so aufbauen, dass sich die Versammlungsfähigkeit Stück für Stück entwickelt. Das bedeutet auch, dass das Pferd Pausen bekommt, in denen dem Anspannen der Muskulatur ein Abspannen der Muskulatur folgt. Losgelassenheit steht nicht umsonst so weit oben in der Skala. Sie zu erhalten bzw. zu entwickeln ist die oberste Verpflichtung eines jeden Pferdemenschen.

 

Andrea Lipp, August 2015