Immer wieder begegnen wir Pferdemenschen, die der Meinung sind, dass ein Reitpferd nicht mehr longiert werden muss. In diesen Kreisen wird dem jungen Pferd die Zeit an der Longe zugestanden und eventuell noch dem Pferd im Wiederaufbau nach Krankheit. In vielen Köpfen besteht die Meinung, dass ein Pferd ab einem bestimmten Alter nur noch unter dem Sattel gearbeitet werden muss.

Dieser Blogbeitrag wird kein Plädoyer für die ausschließlich gewichtslose Arbeit. Auch hier gibt es Pferdebesitzer die es mit der Arbeit am Boden übertreiben und ihr Pferd so gut wie gar nicht mehr reiten, eventuell nur noch im Schritt am Boden unterwegs sind und so gut wie nie in höheren Gangarten arbeiten. Ein gesundes Reitpferd braucht einen starken Rumpftrageapparat und dieser lässt sich hervorragend in den höheren Gangarten aufbauen. Es geht ebenfalls nicht um die Longierer, die ihr Pferd ausschließlich longieren und durch die öde Rennerei im Kreis schlichtweg zu Tode langweilen. In diesem Artikel geht es um das Engagement für die Longe als sinnvolles und wichtiges Trainingsmittel.

Wann brauchen wir nun die Longe im Training?

Das junge Pferd
Dieser Einsatzbereich ist dem Großteil der Pferdewelt bekannt. Das junge Pferd wird mit Hilfe der Longenarbeit auf seinen Job als Reitpferd vorbereitet. Es lernt sich auf der gebogenen Linie gleichmäßig in allen drei Gangarten fortzubewegen. Hier wird bereits gymnastizierend gearbeitet. Das Fortbewegen auf der Kreisbahn erfordert schon vermehrte Lastaufnahme des jeweiligen inneren Hinterbeins und bei korrekter Vorgehensweise wird auch die jeweilige äußere Oberlinie gedehnt. Die Arbeit auf der gebogenen Linie bringt die Remonte zu Beginn aus der Balance. Ziel dieser Arbeit ist das Wiederherstellen des Gleichgewichts und der natürlichen Gänge. Verbunden damit ist die Losgelassenheit und der Schwung. Das junge Pferd wird sich psychisch und physisch entspannen. Die  psychische Komponente ist verbunden mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck des Pferdes und dem Abschnauben. Die physische Komponente ist zu erkennen an dem deutlich schwingenden Rücken. Die Bewegungsenergie des Pferdes fließt von der Hinterhand bis zum Pferdemaul durch den ganzen Körper. Ist dieses Lernziel erreicht, kommt der Reiter mit hinzu. Das Reitergewicht führt wieder zu dem oben beschriebenen Balanceverlust. Jetzt heißt es auch mit Reiter die oben beschriebenen Ziele zu erreichen.

Das Korrekturpferd
Bei diesen Pferden spielt die Longe eine große Rolle. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn die Korrekturpferde durch falsche Reiterei extrem aus der Balance gebracht wurden. Immer haben diese Pferde auch gravierende muskuläre Verspannungen und von Losgelassenheit und Schwung gibt es keine Spur. Wenn wir den Startpunkt in Form von einem Zahlenwert skalieren, fängt man beim jungen Pferd ohne schlechte Vorerfahrungen bei Null an. Der Startpunkt bei diesen verrittenen Korrekturkandidaten liegt bei einer Zahl von bis zu -100.  Man sieht Fälle von jungen Dressurpferden mit einer grandiosen Abstammung, die so falsch geritten wurden, dass der Schritt nur noch ein Passgang ist und die ganze Last auf die Schultern geritten wurde. Hier gehen wir in der Ausbildung ganz einfach wieder zu den Lerninhalten des rohen Pferdes. Wie beim jungen Pferd beschrieben, soll das Korrekturpferd seine verlorene Balance auf der Kreislinie wiederfinden. Der Reiter kommt auch bei diesen Pferden erst ins Spiel, wenn das Gleichgewicht wieder hergestellt ist und muskuläre Verspannungen aufgelöst wurden. Ganz oft sind die spannigen Korrekturpferde auch extrem guckig und scheuen viel. All diese Verhaltensweisen haben ihren Grund in körperlichen Beschwerden. Je losgelassener und schwingender das Pferd wird, desto weniger werden die sogenannten Unarten. Warum soll man einen Rückenpatienten noch mit dem Reitergewicht belasten? Stellen Sie sich vor Sie haben einen extrem verspannten Rücken und müssen zur Krankengymnastik. Ihnen reicht vollkommen, dass der Therapeut die schwierigen Gymanstikübungen auf einem zuerst einfachen Level mit Ihnen durchführt. Würde er gleich von Ihnen verlangen, dass Sie die Übungen mit einem Rucksack durchführen, wären Sie eventuell verzweifelt. Nimmt er den Rucksack erst in Ihr Training, nachdem Sie einige Wochen ihre Kraft und Koordination geschult haben, gelingt ihnen die Übung mit dem Rucksack ganz leicht. Jeglicher Zeitdruck ist bei diesen Pferden obsolet. Denken Sie bitte an unseren Skalenwert von -100. Wie lange das Pferd braucht, um die durch zuvor falsche reiterliche Arbeit erworbenen körperlichen Einschränkungen zu überwinden, ist nicht zu prognostizieren. Diese langsame Vorgehensweise ist der klassische Weg. Das Pferd bestimmt den Zeitrahmen, wobei auch keine Zeit verschwendet werden soll.

Das Reitpferd im normalen Training
Braucht das normale Reitpferd ohne Korrekturbedarf noch die Longe? Die Antwort ist ganz einfach. Ja, auf jeden Fall! Die Longe kommt hier als Abwechslung im Training ins Spiel. Im Sinne der korrekten Trainingslehre braucht die Muskulatur nach einem überschwelligen Trainingsreiz 48 h Pause, damit wir einen positiven Trainingseffekt erzielen. Die Longe kann am Tag nach dem intensiven Training für die lockere Bewegung ohne Trainingsreiz verwendet werden. Ein Ausritt ins Gelände hätte den gleichen Effekt, die lockere Bewegung ohne starken Traininingsreiz. Außerdem darf nie unterschätzt werden, dass Pferde die Abwechslung mögen und auch dringend brauchen, damit sie ein motivierter Partner bleiben.

Pferd in der Rekonvaleszenz
Für Pferde in der Rekonvaleszenz gilt ebenfalls der Aspekt der Vorteile der gymnastizierenden Arbeit ohne das zusätzliche Reitergewicht. Gesetzt den Fall, dass aus tierärztlicher Perspektive der Arbeit auf der gebogenen Linie nichts im Weg steht, ist das Training an der Longe ein hervorragendes Mittel für die Wiederaufnahme des Trainings nach Krankheit und Stehpause. Hinzu kommt bei diesen Pferden noch der Sicherheitsaspekt. Verständlicherweise möchten die Pferde nach möglicherweise wochenlanger Boxenruhe die angestaute überschüssige Energie abbauen. Bocksprünge und explosionsartige Ausbrüche sind hier vollkommen normal. Als Reiter auf ein derart geladenes Pferd zu gehen, zeugt nicht von Mut sondern von Leichtsinn und fehlender Bildung. Lassen Sie auch bei diesen Pferden nie außer Acht, dass die komplette Muskulatur nach Krankheit und Stehpause schlichtweg schlimm verspannt ist. Das Reitergewicht ist auf so einem verspannten Pferderrücken eine regelrechte Qual. Jeder, der schon einmal lange das Bett hüten musste, weiß wie schnell sich Muskeln abbauen und die Rückenmuskulatur schmerzhaft verspannt. Nehmen Sie wieder das oben genannte Beispiel von den Gymnastikübungen mit Rucksack. Machen Sie es Ihrem Pferd immer so leicht wie möglich, die ihm gestellten Aufgaben zu bewältigen. Das Vermeiden von Harmoniestörungen und schlechten Erlebnissen ist die Verpflichtung des Ausbilders.

Das alte Pferd
Irgendwann kommt bei dem fitten Pferdesenior der Zeitpunkt, an dem man den schwächer werdenden Pferderücken nicht mehr so oft mit dem Reitergewicht belasten möchte. Die gymnastizierende Arbeit an der Longe in Kombination mit anderen Formen der gewichtslosen Arbeit, wie der Arbeit an der Hand und der Arbeit am Langen Zügel, ist auch für diese Pferde eine hervorragende Möglichkeit sie lange fit zu halten.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Longieren.

Ihre Andrea Lipp

Januar 2020

Foto: Friederike Scheytt